Stellungnahme des Vereins Cochlea Implantat Austria zum Film „Du sollst hören“
Unkritische Vermengung von berechtigten Sorgen mit Falschinformationen, wenn auch in einem fiktiven Film, kann uninformierte Zuseher irreführen und Betroffene mitunter stark verunsichern. Informierte Entscheidung duldet keine Fehlinformation!
Eine gehörlose Mutter stimmt der CI-Versorgung ihres ebenfalls taub geborenen Kindes nicht zu. Das betreuende Klinikum schaltet das Jugendamt ein: Würde das Kind nicht implantiert, sei das Kindeswohl gefährdet. Das Gericht entscheidet schließlich zu Gunsten der Mutter und deren freien Entscheidung für oder eben gegen eine Operation bei ihrem Kind.
Der Fall schlug 2017 hohe Wellen, nicht nur in Deutschland; heute tut das die romanhafte Aufarbeitung des Geschehens im Film „Du sollst hören!“ Der Vorspann weist zwar auf fiktive Annahmen hin, aber auch auf den Zusammenhang zum seinerzeitigen, realen Geschehen.
In der ZDF-Produktion wurde zahlreiche Argumente für und gegen CI aufgegriffen, die im Zusammenhang mit dem damaligen Verfahren gefallen sind und in Diskussionen über CI-Implantation immer wieder genannt werden. Deutlich werden die verständlichen Sorgen und Ängste der Eltern dargelegt – doch leider werden die zitierten Argumente im Rahmen des Films in keiner Weise auf ihre jeweilige Richtigkeit überprüft und entsprechend klargestellt. So kommt es, dass im Kontext mit dem realen Hintergrund der Geschichte auch Falschinformationen wie reale Fakten erscheinen.
Für uninformierte Zuseher kann das irreführend sein. Besonders tragisch ist das für Betroffene, die selbst gerade für sich oder für ihr Kind vor der Entscheidung für oder gegen eine Cochlea Implantation stehen. Hier sehen wir als Vereinigung Betroffener es als unsere Verpflichtung, Klarstellung zu fordern und auch anzubieten.
CI versus Gebärdensprache? Ein Recht auf informierte Entscheidung!
Als Selbsthilfeverein für Cochlea implantierte Menschen sehen wir es als das Recht eines jeden Menschen zu hören, soweit das mit adäquaten Mitteln möglich ist. Dieses Recht haben aus unserer Sicht auch taub geborene Kinder. So wie eine der Argumentationslinien im Film: „Eltern sollten ihren Kindern Möglichkeiten eröffnen, nicht verschließen.“
Andererseits ist es das Recht jedes Menschen, sich ohne Druck oder Angstmache für oder gegen medizinische Eingriffe zu entscheiden – auf Basis sachlicher, korrekter und vollständiger Informationen. Bei Kindern nehmen in vollem Umfang die Eltern dieses Recht wahr, solange die Gesundheit des Kindes dabei gewährleistet bleibt.
Für eine angstfreie, informierte Entscheidung benötigen Betroffene möglichst vollständige Informationen. Trotz vordergründig fiktiver Handlung suggeriert „Du sollst hören“ eine solche vollständige Darstellung von Fakten und Argumente zum Thema; doch leider ohne die dargestellten Informationen, Meinungen und Argumente bezüglich ihrer faktischen Korrektheit und Aktualität zu hinterfragen. Deswegen ist es uns wichtig, die am meisten beängstigenden Fehlinformationen im Faktencheck klarzustellen.
Sensibilisierung zum Thema, aber miteinander statt gegeneinander
Eine Implantation gegen den Willen der Eltern hat Cochlea Implantat Austria schon 2017 klar abgelehnt: sowohl aus ethischen Gründen als auch aus ganz praktischen. Um das CI auf Dauer nützen zu können und letztlich lautsprachlich zu kommunizieren, bedarf es der Wartung des Audioprozessors und der lautsprachlichen Förderung. Ist es Eltern nicht möglich, das zu gewährleisten – weil sie das Implantat ablehnen, selbst über keine Lautsprache verfügen, oder beides – so wird das Kind schwerlich Nutzen aus dem Implantat ziehen.
Neun von zehn taub geborenen Kindern haben hörende und lautsprachlich kommunizierende Eltern. Sie können dank CI in vollem Umfang am Familienalltag teilnehmen. Auch neun von zehn Kindern gehörloser Eltern können übrigens hören: Sie wachsen zweisprachig auf – mit Gebärdensprache in der Familie und Lautsprache im sonstigen Umfeld. Kein Wunder also, dass auch gehörlose Eltern sich für ihr taub geborenes Kind für ein CI entscheiden – sodass dieses Kind ebenso bilingual aufwächst wie eventuelle, hörende Geschwisterkinder. Im Gegensatz zu den Beschlüssen am Mailänder Kongress 1880 ist heute ein offenes Miteinander, sogar ein „sowohl – als auch“, möglich. Das kann hoffentlich auch Identitätskrisen, wie die Mutter der kleinen Mila im Film sie befürchtet, vermeiden.
Informierte Entscheidung bedarf korrekter, aktueller und vollständiger Information. Die Erfahrungen Betroffener können dabei helfen – und solche erwachsenen Betroffenen oder Eltern betroffener Kinder finden Sie bei www.ci-a.at oder bei www.hoerverlust.at.
“Du sollst hören“: Der Faktencheck zum Film
Informierte Entscheidungen dulden keine Fehlinformationen!
Im Film geht es um die Kontroverse, ob ein taub geborenes Kind auch gegen den Willen der Eltern implantiert werden sollte, und ob Eltern, die sich gegen eine Implantation entscheiden, als verantwortungsbewusste Eltern handeln können.
Im Handlungsablauf dargestellt werden die vielen kleinen und größeren Alltagshürden für Menschen, die auf Gebärdensprache angewiesen. Schon dabei sind dem Produktionsteam zwei Regiefehler unterlaufen:
- Wenn Milas Mutter mit ihrer Schwester Jette in Gebärdensprache kommuniziert, hört der Zuseher Jette auch sprechen. Das würde lautsprachlich begleitender Gebärde entsprechen. Milas Eltern sprechen jedoch Deutsche Gebärdensprache, zu der neben Haltung und Bewegung der Hände auch Mimik und ein entsprechendes Mundbild gehören. Daher sind in der Realität Deutsche oder Österreichische Gebärdensprache und Lautsprache nicht gleichzeitig möglich – so wie es ja auch niemandem möglich ist, gleichzeitig Deutsch und Englisch zu sprechen, sondern immer nur nacheinander.
- In einer Szene versteht Milas gehörlose Mutter plötzlich ohne Übersetzung, was ihre Schwester Jette der Richterin im Gespräch anbietet. In der Realität hätte sie vermutlich bemerkt, dass Jette jetzt nicht mehr ihre Gebärden übersetzt, sondern mehr sagt – nicht aber, was sie sagt.
Bei der Urteilsverkündung merkt Richterin Helbig an, es sei Aufgabe des Staates, die in Deutschland seit 2002 anerkannte Gebärdensprache – in Österreich seit 2005 – „mehr in der Öffentlichkeit stattfinden zu lassen.“ Dazu sollte man wissen, dass Gebärdensprache als „Sprache einer nicht-ethnischen Minderheit“ gilt und als solche den Sprachen ethnischer Minderheiten gegenüber schon jetzt einige – durchaus berechtigte – Bevorzugungen genießt: für die Betroffenen wichtig im Sinn von Inklusion und Barrierefreiheit.
Ihr Urteil argumentiert die Richterin unter anderem auch: „Beide Eltern haben sich umfassend mit den Chancen, Risiken und den anschließend erforderlichen Therapien auseinandergesetzt.“ Gerade diesbezüglich gewinnt der informierte Zuseher aber den Eindruck, die Eltern im Film seien in dieser Auseinandersetzung mit ihren verständlichen Sorgen im Wesentlichen allein gelassen worden: Ihre Ablehnung begründen die Mutter und ihr Anwalt nämlich teilweise mit Details, die so nicht der aktuellen Realität entsprechen, aber im Film in keiner Weise relativiert werden.
- Der elterliche Anwalt betont ein hohes Operationsrisiko bei einer Implantation: sogar Hirnverletzungen seien wahrscheinlich. Tatsächlich wird das Gehirn bei einer Cochlea Implantation in keine Weise berührt. Die Elektrode wird lediglich ins Innenohr eingeführt. In Österreich erfolgen seit 1977 erfolgreich Cochlea Implantationen – mittlerweile ein Routineeingriff, der an allen Universitätskliniken und einigen andere Spitälern möglich ist. Bei jeder Operation bleibt ein Restrisiko – HNO-Chirurgen zufolge ist die Cochlea Implantation sicherer als zum Beispiel eine Tonsillektomie (Mandeloperation).
In wissenschaftlichen Studien wurde bereits vor Jahren gewissenhaft belegt, dass auch eine frühzeitige Implantation bei Kindern kein größeres Risiko mit sich bringt, aber zu einfacher erreichbaren und signifikant besseren Hörerfolgen führt. Das typische Implantationsalter für taub geborene Kinder liegt – in Österreich wie in ganz Mitteleuropa – daher bei rund 12 Monaten.
Auch die erwähnte Gefahr einer Meningitis in Folge einer Cochlea Implantation ist gering, eine Impfung kann zusätzlich vorbeugen. Umgekehrt gehört eine Ertaubung zu den typischen Komplikationen in Folge einer Meningitis – die Betroffenen können nach erfolgter Genesung mit einem CI ihr Hörvermögen wiedererlangen. - Auch die Behauptung, Cochlea Implantate müssten alle 15 Jahre und bei jeder Magnetresonanztomografie, kurz MR, entfernt oder getauscht werden, ist schlicht falsch. Die von Gesundheitsbehörden überwachten und öffentlich publizierten Zuverlässigkeitsdaten von Cochlea Implantaten belegen das Gegenteil. Auch die Möglichkeit, eine MR ohne vorheriger Entfernung von Implantat oder Teilen davon durchzuführen, ist Teil der Implantat-Zuverlässigkeit: Gerade die in Österreich gebräuchlichsten Implantate vom heimischen Hersteller sind spätestens schon seit 1994 unter Einhaltung einiger weniger Richtlinien MR-sicher.
- Milas Mutter verweist auf Kinder, deren CI-Versorgung erfolglos geblieben sei. Tatsächlich ermöglicht das CI – vorausgesetzt Hörnerv und zentrales Hören sind angelegt und funktionsfähig, was bei taub geborenen Kindern in der Regel der Fall ist – immer zu hören. Werden Kindern, die absolut taub geboren sind oder vor dem Spracherwerb ertaubten, erst im Schulalter oder später implantiert, so kann die Reifung der Hörbahn nicht im entsprechenden Entwicklungszeitraum erfolgen und später auch nicht nachgeholt werden: Eine Implantation könnte dann nicht mehr zum erhofften Erwerb der Lautsprache führen.
Auch andere Beeinträchtigungen zusätzlich zur Taubheit können die Entwicklung der Lautsprache verzögern oder verhindern – wie das auch der Fall wäre, wenn dasselbe Kind ohne Höreinschränkung zur Welt gekommen wäre. Für diese Kinder sind zusätzliche Kommunikationskonzepte – darunter auch die Gebärdensprache – oft wesentlich. Das CI kann aber gerade ihnen einen wichtigen, zusätzlichen Sinneskanal öffnen, weil zumindest Umgebungsgeräusche wahrgenommen, erkannt und zugeordnet werden.
Für gutes Sprachverstehen mit CI sind auch dessen regelmäßige Nutzung und Wartung, sowie auditive Förderung oder Hörrehabilitation wichtig. Ohne sie kann eventuell das volle Potential mit CI nicht ausgeschöpft werden. Bei zügiger Entscheidung und Implantation, konsequenter Nutzung und auditiver Förderung können Betroffene und Eltern aber berechtigt auf bestmögliches Hörvermögen mit CI hoffen. - Ein Mangel an Gebärdendolmetschen ist zwar auch in Österreich zu beklagen; auch die Tatsache, dass die Kosten dafür von der öffentlichen Hand nur begrenzt finanziert werden. Das betrifft aber ebenso Schriftdolmetsche für hörbeeinträchtigte Personen, die nicht gebärdensprachlich kommunizieren. CIA hat wiederholt auf dieses Missverständnis aufmerksam gemacht!
Mit der Verbreitung des CIs hat das ursächlich nichts zu tun. Das CI macht die meisten Nutzer aber weitgehend unabhängig von Dolmetsch-Leistungen.
Sensibilität und Verständnis sind in der Auseinandersetzung der Frage für oder gegen eine Cochlea Implantation natürlich immer gefordert, ebenso wie ehrliche, wahrheitsgetreue und verständliche Information!
Sound of Metal
Gleich in der ersten Szene wird der Film seinem Titel – Sound of Metal – gerecht. Regisseur Darius Marder zeigt den Auftritt eines Trash-Punk-Duos vor kreischendem Publikum. Doch schließt sich am Ende mit eben diesem Titel ein Kreis, der nicht für jeden verständlich sein wird.
Leben mit hoerverlust.at
Alles auf einen Klick! hoerverlust.at bietet Betroffenen und Angehörigen umfassende Informationen und Kontaktmöglichkeiten zu allen Bereichen, die Sie auf dem Weg zum Hören benötigen. Mehr zum informativen Wegbegleiter vom ersten Verdacht bis zur optimalen Versorgung finden Sie hier!