Hörrehabilitation im deutschsprachigen Raum

Dr. Heike Kühn, Psychologin und Geschäftsführerin am CI-Zentrum Würzburg, moderierte beim 14. Symposium der EURO-CIU ein Podiumsgespräch, bei dem Therapieansätze für Kinder und Therapiemöglichkeiten für Erwachsene in Österreich jeweils nach Cochlea-Implantation diskutiert wurden.

Ausgangspunkt für das Gespräch über Hörrehabilitation nach Cochlea-Implantation ist auch der Vergleich mit Deutschland. Dort steht für hörbeeinträchtigte Kinder bundesweit ein spezielles Frühförderprogramm zur Verfügung. Die Rehabilitation in CI-Zentren, teilweise angebunden an implantierende Kliniken, wird für Kinder und für Erwachsene gleichermaßen von den Krankenkassen finanziert. Mit sechs Rehabilitationskliniken für Erwachsene und mehr als 20 CI-Rehabilitationszentren für Kinder und Erwachsene sowie mit einem zusätzlichen, breiten Angebot im privaten Bereich wird die CI-Nachsorge im Bereich der sogenannten Folgetherapie abgesichert.

CI-NutzerInnen haben, so betonte die CI-Spezialistin Dr. Heike Kühn mit Blick auf ihre 30-jährige Erfahrung, sehr unterschiedliche Lebenswirklichkeiten, die eine individualisierte Therapie nötig machen. „Es stellt sich jedoch die Frage, was ein gutes CI-Nachsorge- und Rehabilitationsprogramm beinhalten sollte, damit der CI-Träger optimal von seinem CI für die auditive Wahrnehmung profitieren kann.“

Stationäre Hörrehabilitation für Kinder in Österreich

Dr. Heike Kühn aus dem Uniklinikum Würzburg: „Für eine individualisierte Nachsorge brauchen wir ganz unterschiedliche Angebote“. ©AstridRo

Kinder mit Cochlea-Implantaten unterscheiden sich in ihren audiologischen Voraussetzungen und Hörerfahrungen, geistiger, emotionaler und psychischer Verfassung, aber auch durch unterschiedliche Familiensituationen: einsprachige, zwei- oder mehrsprachige Familien mit ganz unterschiedlichen Gewohnheiten der Interaktion. In Deutschland stehen ihnen unterschiedliche Förderangebote zur Verfügung.

„In Österreich sind wir noch nicht so weit wie in Deutschland. Daher kam uns die Idee, eine vorhandene Reha-Institution, die auf die Therapie neurologischer Erkrankungen bei Kindern spezialisiert ist, zur CI-Reha zu machen“, erklärte Primar Dr. Paul Zwittag. Der klinische Leiter des Kepler Universitätsklinikums hat vor mehr als zwei Jahren die Kinder-Hörrehabilitation am Reha-Zentrum kokon in Oberösterreich mitbegründet und ist dessen medizinischer Partner. Dort werden neben unterschiedlichen Therapien auch Aufklärung und Information für die Eltern angeboten. Die Rückmeldung der Eltern seien ebenso positiv wie die Entwicklung, die man bei den Kindern in dieser Zeit beobachten kann. „Aber wir wissen, dass mit den vier Wochen nicht genug getan ist“, verweist Zwittag auf zwei Dekaden patientInnenorientierter Betreuung von CI-Kindern in Oberösterreich.

Familienzentrierte Frühförderung in Oberösterreich

Der klinische Linguist Doz. Dr. Daniel Holzinger leitet das entwicklungsmedizinische Zentrum für Kommunikation und Sprache am Krankenhaus der Barmherzigen Brüder in Linz. „Wo gibt es denn die allerbesten Ergebnisse weltweit für Kinder – nicht nur im Sinne von Sprach- sondern auch von Kommunikationsentwicklung, psychischer und akademischer Entwicklung? Wo gibt es die besten Ergebnisse weltweit für die Lebensqualität von Familien?“, das war vor rund 20 Jahren die Frage seiner Literaturrecherche.

Er fand heraus: Frühinterventionsprogramme, in denen Eltern als maßgebliche Akteure für die Entwicklung ihrer Kinder partnerschaftlich von ExpertInnen begleitet werden, sind hocheffektiv. Dabei ist es besonders wichtig, dass die Eltern-Kind-Interaktion nicht nur strukturelle Sprache vermittelt, sondern auch soziale Kommunikation: sich ausdrücken und nachfragen zu können, etwas erzählen oder sich entschuldigen zu können. Bei einer Metastudie habe das Team gesehen: „Die Qualität der Eltern-Kind-Interaktion ist noch entscheidender als die Quantität.“

(v.li.) Renate Welter, Doz. Dr. Daniel Holzinger, Prof. Dr. Michael Frass und Primar Dr. Paul Zwittag ©AstridRo

Familien seien nach der Diagnose einer Hörstörung oft geschockt, verunsichert oder zweifeln an der Diagnose: „Manchmal haben Eltern auch das Gefühl, nicht die beste Mama oder der beste Papa für dieses Kind mit Hörstörung zu sein. Die Familienzentrierte Frühförderung gibt den Familien wieder Sicherheit.“ Bereits erfahrene Eltern betroffener Kinder unterstützen dabei. Die wiedergewonnene Sicherheit sei wichtig, damit die Eltern für die Interaktion mit ihren Kindern wieder emotional verfügbar seien und somit wieder Spaß haben am Miteinander.

Im Weiteren helfen LogopädInnen den betroffenen Eltern, ihre Kommunikation an das jeweilige Niveau und die besondere Wahrnehmung des Kindes anzupassen. Holzinger betonte auch die Zusammenarbeit mit der Medizin: mit der HNO, aber gerade auch der Entwicklungsmedizin, „wo wir die Sprachentwicklung, aber auch die psychische und die soziale Entwicklung von Kindern und ihren Eltern begleiten.“

Primar Zwittag über Hörrehabilitation für Kinder: „Das Beste aus beiden Welten!“

„Ich bin sicher, dass Hörrehabilitation für viele Familien und je nach lokalen Angeboten ein wertvolles Ergänzungsangebot sein kann, zum Beispiel bei Kindern, die erst im Schulalter implantiert werden“, ist Holzinger überzeugt. Bei Familien mit jungen Kindern, die in der Frühinterventionen betreut werden, sieht er die Notwendigkeit nicht so.

Zwittag ergänzt: „Wir haben eine nicht unerhebliche Anzahl von Syndrom-Kindern mit anderen Motivationen, die auch im Rehazentrum Unterstützung finden. Und dann können wir in Österreich diese Art der Frühintervention ja leider nur in Ober- und Niederösterreich anbieten.“ Um nachhaltige Effekte sicherzustellen, werde bei der stationären Kinder-Hörrehabilitation aber auch immer der Austausch mit den lokalen LogopädInnen am Wohnort gesucht.

Alle vorgestellten Programme folgen primär dem Konzept des natürlichen, muttersprachlichen Spracherwerbs wie bei hörenden Kindern. „Kinder mit Hörschädigung brauchen nichts anderes, aber mehr von demselben“, erinnert Kühn an einen bekannten Lehrsatz der Sprachtherapie von Morag Clark. Natürliche, emotionale Interaktion mit den Eltern sei für die Kinder besonders wichtig, erinnert sie nochmals. „Aber wir müssen auch sicherstellen, dass die Technik im Alltag richtig eingestellt ist und unterstützt wird.“ Und sie mahnt nochmals, dass für Kinder im Kindergarten- und Schulalter und deren Eltern sogenannte Peergroups wichtig seien.

„Kinder mit Hörschädigung brauchen nichts anderes, aber mehr von demselben.“

Morag Clark

Rehabilitation hilft, die Kapazität des Hörens mit CI optimal zu nutzen!

Auch erwachsene CI-NutzerInnen seien mit unterschiedlichen Lebensrealitäten konfrontiert, leitet Kühn zum nächsten Thema über. „Zu mir kam ein erwachsener, frisch implantierter CI-Nutzer, der dann gesagt hat: Ich muss nur das Piepsen von meiner Playstation hören“, nennt sie ein Extrembeispiel aus ihrer langjährigen Arbeitspraxis. Neben persönlichen Notwendigkeiten unterscheiden sich auch Familien- und Arbeitssituation sowie körperliche, mentale und psychische Voraussetzungen. Das alles wirke sich auf die Anforderungen an eine Hörrehabilitation aus. CI-Nutzerin Renate Welter und CI-Nutzer Prof. Dr. Michael Frass teilten im Rahmen des Podiumgesprächs ihre persönlichen Erfahrungen mit CI-Reha und ihre Ansprüche daran.

Frass ist Facharzt für Innere Medizin und arbeitete mehr als 40 Jahre am AKH Wien in der internistischen Intensivmedizin. Zwei Jahre nach seiner Ertaubung wurde er auf der rechten Seite implantiert, recht bald folgte die linke Seite. „Ich habe das Glück gehabt, dass die Implantate sofort gegriffen haben. Ich habe auf dem Heimweg nach der Aktivierung schon den Radiosprecher verstanden!“ Trotzdem wollte er sein Sprachverstehen weiter verbessern: In der stationären Hörrehabilitation im deutschen Bad Nauheim erlernte er hilfreiche Kommunikationstechniken. Über den Ablauf der Therapie und seine Erfahrungen damit erzählte er in der gehört.gelesen, Ausgabe 1, 2024. Beim Symposium mahnte er auch: „Es ist wichtig, dass man auch schnell wieder in den Arbeitsprozess eingegliedert wird.“

Internationale Standards gelten in Österreich bisher nicht

Prof. Dr. Michael Frass bei seiner CI Reha in Bad Nauheim ©privat

„Eine Cochlea-Implantation sollte nur dort erfolgen, wo die unterstützende Infrastruktur für eine Rehabilitationstherapie vorhanden ist“, zitiert Renate Welter aus dem World Report on Hearing der Weltgesundheitsorganisation WHO. Die Wienerin ging nach ihrem Studium in Wien nach Deutschland. „In Deutschland gibt es seit 1983 Hörrehabilitation – da hatte ich ziemlich bald, nachdem ich schwerhörig geworden bin, die Chance, so eine Reha-Maßnahme zu machen.“ Dort lernte sie, mit ihrer Hörbehinderung umzugehen, „selbstbewusst – weil kommunikativ“ zu leben, wie sie erzählt.

Ihre persönlichen Erfahrungen motivierten Renate Welter auch in der Schwerhörigen-Selbsthilfe aktiv zu werden: Erst beim Deutschen Schwerhörigenbund – sie wirkte im Jahr 2000 am Deutschen Rehabilitationsgesetz mit und war von 2004 bis 2021 im Gemeinsamen Bundesausschuss als sachkundige ehrenamtliche PatientInnenvertreterin für das Thema „Hören und Kommunikation“ akkreditiert. Seit ihrer Rückübersiedlung nach Wien engagiert sie sich beim Österreichischen Schwerhörigenbund ÖSB. „Wir brauchen weltweit Services und lebenslange Nachsorge, um im Alltag vernünftig und gut leben zu können.“

Im Zentrum der Forderungen steht für Renate Welter aktuell aber die Möglichkeit zur Rehabilitation. Sie verweist auf das Grundlagenpapier der internationalen CI-Gruppe ciica – The Living Guidelines for Adult Cochlear Implantation und auf das Weißbuch Cochlea-Implantat(CI)-Versorgung aus Deutschland. „Sieben spezielle stationäre Rehazentren haben wir in Deutschland und 20 CI-Zentren, wo man ambulante Reha machen kann. Ich habe 45 Jahre in Essen gewohnt, da konnte ich meine ambulante CI-Reha vor der Haustür machen!“ Im Gegensatz zu Österreich sei in Deutschland auch sichergestellt, dass die Reha-Maßnahmen von den Kassen bezahlt würden.

„Es ist mir ein Anliegen, dass wir so eine Struktur auch in Österreich bekommen!“

Derzeit können österreichische CI-NutzerInnen eine stationäre Hörrehabilitation in Deutschland beantragen. „Ältere Menschen oder Menschen wie ich, die zusätzlich andere Einschränkungen haben, die fahren nicht nach Deutschland“, kennt Renate Welter die Hürde der weiten Distanzen zu den deutschen Rehazentren. Sie fordert: „Wir brauchen so ein Rehazentrum auch in Österreich und natürlich auch die ambulanten Möglichkeiten hier in Österreich!“ Welter fordert, eine entsprechende Indikation in den Rehabilitationsplan aufzunehmen. „Es ist uns zugesagt worden, das soll im nächsten Jahr vielleicht in die Neuro-Indikation integriert werden. Das mag ein Anfang sein. Aber langfristig brauchen wir eine Indikation Hören!“ Nur entsprechende rechtliche Vorschriften würden auch den Rechtsanspruch auf Hörrehabilitation sicherstellen.

„Für eine individualisierte Nachsorge brauchen wir ganz unterschiedliche Angebote“, zeigt sich auch Heike Kühn vom CHC Würzburg überzeugt vom parallelen Angebot stationärer und ambulanter Therapiemöglichkeiten. Dabei sei die fundierte Ausbildung der agierenden TherapeutInnen durch erfahrene CI-Zentren aber wesentlich. „Das ist mir ein großes Anliegen, dass wir Expertise und Qualität nicht aus den Augen verlieren!“

Logo Leben mit hoerverlust.at

Leben mit hoerverlust.at

Alles auf einen Klick! hoerverlust.at bietet Betroffenen und Angehörigen umfassende Informationen und Kontaktmöglichkeiten zu allen Bereichen, die Sie auf dem Weg zum Hören benötigen. Mehr zum informativen Wegbegleiter vom ersten Verdacht bis zur optimalen Versorgung finden Sie hier!

ZENTRUM HÖREN

Beratung, Service & Rehabilitation – für zufriedene Kunden und erfolgreiche Nutzer! Mehr zum umfassenden Angebot und engagierten Team des MED-EL Kundenzentrum finden Sie hier!