Das Team am Kepler Universitätsklinikum in Linz verweist auf gute Erfahrungen mit der Cochlea-Implantation einseitig tauber Patienten, auch bei Kindern.
Der 25. Februar ist ein besonderer Tag: Seit 2009 wird dieser Tag als Internationaler Tag des Cochlea Implantats begangen. Für den kleinen Bahran ist es der Tag, an dem er sein Cochlea-Implantat bekommen hat. Kurz nach seiner Geburt wurde bei Bahran das übliche Neugeborenen-Hörscreening durchgeführt. „Die Ergebnisse waren einseitig auffällig“, erinnert sich Sabrina Ackerl, die stellvertretende Leiterin der Logopädie an der HNO-Abteilung des Kepler Universitätsklinikum KUK in Linz. „Das Kind hat dann die ganze Diagnostik durchlaufen, bis zur finalen Diagnose.“ Die lautete: einseitig taub, auf der anderen Seite normales Hörvermögen.
Die Spezialisten am KUK rieten gleich zu einem CI auf der tauben Seite. „In Ruhe ist einseitige Taubheit kein Problem“, erklärt Ackerl. „Aber im Störschall schon: im Kindergarten und in der Schule sowieso.“ Seit einem Jahrzehnt wissen wir aus US-amerikanischen Studienergebnissen, dass über ein Drittel der einseitig hörbeeinträchtigten Kinder zumindest ein Schuljahr wiederholen muss – deutlich mehr als bei normalhörenden Schülern. Deutlich über die Hälfte benötigt über mehrere Jahre hindurch Nachhilfe. Sie weist sogar Probleme in der Sprachentwicklung und in der sozial-emotionalen Entwicklung auf. Da ihnen aber auch HNO-Spezialisten im Herkunftsland der Familie, in der Türkei, zur Implantation rieten, war es im Februar 2019 dann so weit.
Österreich ist Vorreiter
Österreich führte als erstes Land ein universelles, also flächendeckendes, Neugeborenen-Hörscreening, kurz: UNHS, ein. Bereits 1995 regelte die Österreichische Gesellschaft für Hals‐, Nasen‐ und Ohrenheilkunde im sogenannten Millstätter Konzept die Durchführung des UNHS in Österreich. Die Höruntersuchung wurde als verpflichtende Untersuchung in den österreichischen Mutter-Kind-Pass aufgenommen.
2017 hat die Arbeitsgemeinschaft Audiologie der Gesellschaft für HNO‐Heilkunde auf Basis der bisherigen Erfahrungen eine neue Richtlinie zur Organisation des Neugeborenen‐Hörscreenings, sowie der Abklärung und Versorgung angeborener Hörbeeinträchtigungen verabschiedet. Sie sieht eine beidseitige Kontrolle vor und empfiehlt, die Eltern für Auffälligkeiten in der Hör- oder Sprachentwicklung des Kindes zu sensibilisieren: „Prinzipiell wird eine Versorgung von einseitigen Hörstörungen angestrebt, um Nachteilen bei der Entwicklung des Kindes vorzubeugen.“ Bei Hörstörungen von 70 Dezibel und mehr wird eine Cochlea-Implantation empfohlen.
Vorbildliches Sicherheitsnetz bei Hörproblemen
Am KUK Linz blickt man stolz auf die führende Rolle zurück, die das damalige AKH Linz bei der Einführung des Hörscreenings hatte. Heute stellt hier ein standardisierter Routineablauf die Betreuung der Familien sicher: Auf der Geburtenstation führt ein Krankenpfleger den ersten Test durch, bei Säuglingen auf der Kinderintensiv-Station oder der Frühstation eine Logopädin der Kinderklinik. Es ist von Vorteil, wenn die Eltern beim Test anwesend sind. Sabrina Ackerl dazu: „Dann können wir Fragen zur Anamnese stellen, über Hörbehinderungen in der Familie. Und wir können den Eltern die Ergebnisse erklären.“
Bei einem auffälligen Testergebnis rufen Pfleger oder Logopädin und die frisch entbundene Mutter gemeinsam an der HNO-Abteilung an, um einen Termin für weitere Untersuchungen zu vereinbaren. Damit werden eine vollständige Diagnostik und Nachsorge sichergestellt. „Bei uns im Haus wurde das NHS immer schon beidseitig durchgeführt.“ Ackerl erklärt, warum das nicht selbstverständlich ist: „Früher hat man bei einseitig tauben Kindern ja nichts gemacht, weil sie ja Sprache entwickeln.“
„Wir haben immer wieder junge Erwachsene im Alter zwischen 30 und 40 Jahren, die seit der Geburt einseitig taub sind und die das jetzt ändern würden, weil sie sich sorgen, dass ihr gutes Ohr eines Tages schlechter werden könnte. Für diese Betroffenen ist es leider zu spät für ein CI. Auch deswegen mein Rat an betroffene Familien zur Implantation – damit das Kind auch mit 40 oder 50 Jahren noch gut versorgt ist.“
Folgen von einseitigen Hörproblemen
„Ich habe gerade zwei einseitig hörbeeinträchtigte Kinder in Betreuung, bei denen erst mit zwei bis vier Jahren aufgefallen ist, dass sie im Alltag im Kindergarten in lauten Situationen echte Probleme haben“, seufzt Ackerl. Dabei zeigten die Erfahrungen, dass frühe Intervention auch bei einseitigen Hörproblemen wichtig sei. Manchmal verzögert sich eine Implantation aber aus verschiedenen Gründen, oder Kinder ziehen aus Regionen oder Ländern zu, in denen das NHS nicht im vollen Umfang durchgeführt wurde. Früher wurden die Probleme dann oft erst im Schulunterricht offensichtlich. „Heute beobachten die Pädagogen immer besser, wie die Kinder reagieren und sich verhalten. Deswegen fallen auch Hörprobleme vor Schuleintritt auf.“
Menschen mit zwei Ohren filtern in akustisch erfüllter Umgebung die für sie wichtigen Informationen heraus. Zusätzlich können sie auch erkennen, aus welcher Richtung diese Information kommt. Für diese kognitiven Leistungen benötigt unser Gehirn akustische Informationen beider Ohren. Wer auf einer Seite nichts oder sehr schlecht hört, dem entgehen manche Schallereignisse auf der tauben Seite sogar gänzlich – besonders störend wirkt sich das beispielsweise bei Tischgesprächen in großer Runde aus, bei denen der primäre Gesprächspartner auf der tauben Seite sitzt.
„Das gute Ohr ist Vorreiter“
Prinzipiell können unterschiedliche apparative Hilfen einseitig tauben Menschen in solchen Situationen helfen. Sogenannte CROSS-Versorgungen mit Hörgeräten oder -implantaten, beispielsweise der Bonebridge, nehmen Schall auf der tauben Seite auf und leiten ihn an die hörende Seite weiter. Das hilft Geräuschen, auch auf der tauben Seite wahrzunehmen. Die volle bilaterale Funktion kann für einseitig taube Menschen aber nur durch eine Cochlea-Implantation erreicht werden.
Ackerl kennt die Herausforderung, die das Hörtraining einseitig tauber CI-Nutzer darstellen kann: „Weil das gute Ohr eben das gute Ohr ist und immer ein Vorreiter sein wird. Beim Hörtraining vertäuben wir das hörende Ohr oder wir überbrücken es mit Technik – mit Apps, Hörbüchern und diesen Dingen.“ Die werden, zumeist drahtlos über Telespule, direkt in den Audioprozessor des CI-Systems eingespeist.
Vertäuben ließen kleine Kinder nicht zu, aber: „Die spielen ja wahnsinnig gerne mit Tablet oder Handy“, diese Vorliebe ließe sich bei den Kleinen für das Hörtraining gut nützen – prinzipiell, aber besonders bei einseitig tauben Kindern. Angefangen von Tierbildern mit dem zugehörigen Tierlaut: Was die Mama beim „Durchblättern“ dazu erzählt, das könne das Kind ja mit dem anderen, normalhörenden Ohr hören.
Wer ruft mich?
„Hörtraining bei einseitig tauben CI-Nutzern braucht Geduld: Die Hörentwicklung dauert länger als bei beidseits ertaubten Patienten. Erste Höreindrücke werden zwar rasch bemerkt, aber am Anfang wird die Hörsituation im Störschall oft sogar schlechter.“ Ackerl schmunzelt: „Manchmal müssen wir dann schon Mut zusprechen.“ Erster, früher Erfolg sei meist das Orten von Warnsignalen, wie dem eines herannahenden Autos. Das Sprachverstehen über das CI kommt dann langsamer dazu, manchmal ohne dass es den Betreffenden gleich bewusst wird.
Bahran ist freilich noch zu klein, um so detailliert über seine Höreindrücke Auskunft zu geben. Seine betreuende Logopädin Ackerl wird seinen Eltern ans Herz legen, ihn zu beobachten: „Wie geht es ihm im Störschall, in einer Gruppe? Reagiert er, wenn er gerufen wird? Schaut er dann in die richtige Richtung?“ Die ersten Veränderungen im Verhalten werden wohl zuhause auffallen. Jetzt hat er alle Zeit der Welt, seine Hörfähigkeiten voll zu entwickeln.